Die Temperaturen steigen, die Spaziergänger sind unermüdlich und das Osterfest steht vor der Tür. Deshalb habe ich in meine Manuskriptkiste geschaut und eine passende Geschichte hervorgezaubert. Ta-da!
Im Vorjahr an Ostern im Rahmen einer kleinen Schreib-Challenge entstanden, präsentiere ich:
Ein fast romantischer Frühlingskrimi
Der Frühling war in einer Sache ganz besonders. Er hatte diese seltsame Angewohnheit, aus jedermann einen Romantiker zu machen. Plötzlich waren die Blumen nicht mehr einfach Blumen; es waren gelbgesprenkelte Farbenmeere mit grünen Zierbändern. Die Luft war nicht einfach frisch; sie roch nach Kinderlachen und Schmetterlingsliebe. Durch die erwachenden Parkanlagen flanierten neu verliebte Pärchen, die Osterglocken oder Apfelblüten bewunderten, als hätten sie nie zuvor welche gesehen.
Unter all diesen Romantikern, die der Frühling so schuf, gab es eine Ausnahme: Oskar Anton.
Oskar Anton war zu keiner Zeit im Jahr ein Romantiker und am allerwenigsten im Frühling. Er sah in dem zarten Grün ringsumher nur Unkraut. Die Luft stank nach den Schreien der Nachbarskinder, die sich dank der Schneeschmelze wieder häufiger in den Garten trauten und die Schaukelzeit einläuteten. Nein, Oskar Anton hielt nichts vom Frühling mit seinen Buschwindröschen, Schokoladeneiern und all den Romantikern.
Während die ersten Leute in den Osterurlaub verschwanden, war Oskar Anton froh, arbeiten zu müssen. Er stiefelte durch halbgetrockneten Matsch, schob sich unter dem grellen Polizeiflatterband hindurch und blieb neben seiner Kollegin, Lucy Meier, stehen. Mit ihrem unermüdlichen Lächeln beobachtete sie, wie der Rechtsmediziner recht teilnahmslos die aufgefundene Leiche untersuchte.
„Das ist nicht euer Ernst“, murmelte Oskar Anton statt einer Begrüßung. Lucy Meier wippte auf den Fußballen auf und ab. Zwischen Schuhen und Jeans blitzten gelbe Socken mit Hasenmuster hervor. „Ist doch bald Ostern“, antwortete sie. „Und das ist doch eine schöne Sache, so zu Ostern.“ Sie sah auf den Toten zu ihren Füßen. „Es wäre eine schöne Sache“, korrigierte sie sich, „wenn er jetzt nicht tot wäre.“
Oskar Anton starrte mit leichtem Entsetzen auf das flauschige Hasenkostüm, in dem die Leiche versank. Daneben lag ein geflochtenes Körbchen mit massakrierten Blumen und aufgeplatzten Eiern.
„Vielleicht war es ein Konkurrent“, scherzte Lucy Meier trocken. „Ein anderer Osterhase, der das Einzugsgebiet übernehmen wollte.“
„Das fehlt mir noch!“, stöhnte Oskar Anton. „Wissen wir, wer dieser Hase hier war?“
Sofort hielt Lucy Meier ihm ein Plastiktütchen mit einer Visitenkarte darin hin. Felix Lampe war darauf zu lesen. Tischlermeister.
„Meister Lampe?“, fragte Oskar Anton mit hochgezogenen Augenbrauen. Er überlegte, ob heute der erste April war und seine Kollegen ihm einen Streich spielen wollten.
„Er da drüben hat Meister Lampe übrigens gefunden“, meinte Lucy Meier. Oskar Anton folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger zu einem Mann, der abseits stand und verzweifelt versuchte, den letzten Tropfen aus einer Flasche Eierlikör zu bekommen. Die Verzauberung durch Alkohol war eine ganz andere Romantik als die des Frühlings. Nur Eierlikör vermochte es, beide in sich zu vereinen.
Oskar Anton seufzte. Betrunkene Zeugen mochte er fast noch weniger als den Frühling. „Haben Sie schon mit ihm gesprochen?“, fragte er hoffnungsvoll und atmete auf, sobald Lucy Meier nickte.
Dann zückte sie ihr kleines, geblümtes Notizbüchlein. „Außerdem“, sagte sie, „weiß ich bereits, dass unser Osterhase eine Ehefrau hatte.“
„Sie sind ein Schatz“, meinte Oskar Anton so düster wie möglich. Wenn ihn irgendetwas mit romantisch-verklärtem Blick auf die Welt schauen ließ, dann Lucy Meiers blitzschnelle Arbeitsweise. Das wollte er sich allerdings nur sehr ungern anmerken lassen.
In der Zwischenzeit wurde der tote Meister Lampe in eine weiße Hülle verpackt. Jetzt sah er aus wie eine übergroße Made mit Reißverschluss. Jetzt trug er ein Madenkostüm. Da konnte auch das Frühlingsgezwitscher der Vögel nichts mehr beschönigen.
Oskar Anton machte sich mit Lucy Meier im Schlepptau auf den Weg, Meisterin Lampe das Osterfest zu versauen. Er bestand jedoch darauf, einen Umweg über die örtliche Bäckerei zu machen. Ohne Frühstück im Magen ertrug er keine weinenden Menschen. Und zumindest die allermeisten Ehefrauen verdrückten ja wenigstens ein paar Anstandstränchen, wenn ihre Männer in die ewigen Hasen-Jagdgründe eingingen.
In der Bäckerei ignorierte Oskar Anton gekonnt die gefüllten, hasenförmigen Schokoladenkekse und bestellte sich ein belegtes Brötchen, aus dem er draußen, vor dem Geschäft, die Stangeneischeiben herauszupfte. Eier würde er erst wieder nach Ostern essen.
Er sah sich nach Lucy Meier um und war darüber verwundert, sie aus einem Blumenladen nebenan kommen zu sehen. Freudestrahlend hielt sie ein Bündel Weidenkätzchen in die Höhe. „Für den Bürotisch!“, verkündete sie aufgeregt. Meister Lampe und seine Frau hatte sie kurzzeitig verdrängt.
Oskar Anton legte den Kopf in den Nacken und blickte in den hyazinthfarbenen Himmel. Winzige, fluffige Wölkchen malten ein Ostereimuster vor die Weiten des Weltalls. Eine Apfelbaumblüte schwebte von irgendwo heran und zog den Duft von frischem Gras hinter sich her.
Oskar Anton durchfuhr ein Schauer, als ihm der Frühling über das Haupt strich. Hastig scheuchte er seine Gedanken zu der Leiche zurück, bevor die Romantik Zeit hatte, ihre sanften Finger in sein Herz zu schlagen.
Der Frühling hatte diese seltsame Angewohnheit.